Klaviertrio (2013)
Vl.Vcl.Klav
(15 min)

Verlag
Boosey & Hawkes Berlin

Uraufführung
Trio Steuermann, Paris, 24. November 2013

Texte
Johannes Boris Borowski im Gespräch mit Anne de Fornel (2015):

Welche Gründe führten dazu, ein Klaviertrio zu schreiben?
Der Impuls, ein Klaviertrio zu schreiben, lag zunächst in der Besetzung selbst, welche eine komplexe, reiche Klanggestaltung ermöglicht, gleichzeitig aber herausfordernde Beschränkungen bereithält, aufgrund der unterschiedlichen Artikulations- und Ausdrucksmöglichkeiten des Klaviers und der Streicher. Das Genre „Klaviertrio“ wurde traditionell oft als Ausdruck sehr persönlicher, emotionaler Erfahrungen benutzt. Die Besetzung diente als experimentelle Basis für neue Ideen – in der Tat räumten viele Komponisten dem Klaviertrio einen ganz besonderen Platz in ihrem Oeuvre ein (ich denke hier z.B. an die Trios von Beethoven, Schubert, Brahms, Schostakowitsch oder Smetana).
Nach 1945 distanzierten sich viele Komponisten von traditionellen Besetzungen, um somit auch distanzierter gegenüber traditionellen Gesten zu sein. Die Idee des „musikalischen Fortschritts“ verband man unmittelbar mit dem „musikalischen Material“. Dies führte zur Annahme, dass allein das konkrete Material (wie Ton, Geräusch, aber auch Besetzung) traditionelle Bezüge sprengen könnte. Entgegen dieser Position versuche ich in meinem Trio dem Mikrokosmos der Klänge zu vertrauen, ohne die historischen Implikationen des Materials vollkommen zu zerstören. Innovation und Entwicklung sind nicht allein Ergebnis eines isolierten Materials. Vielmehr entscheidet die Art der Verknüpfung und Entwicklung dessen über die Neuerung. Natürlich ist nicht jedes Material gleich geeignet, die Materialfrage also nicht beliebig. In diesem Sinne habe ich mich der Herausforderung gestellt und es letztendlich genossen, mich einem scheinbar „traditionellen“ Genre zu stellen, als Ausdruck unserer Zeit.

Ihr Klaviertrio ist für das Trio Steuermann geschrieben, dem es auch gewidmet ist. Beeinflussten die individuellen Persönlichkeiten der Musiker bestimmte kompositorische Entscheidungen?
Ich kannte die einzelnen Musiker des Trios bereits von früheren Projekten. Als ich jedoch von der Trioformation hörte, entstand bei mir sofort der Wunsch nach einer Zusammenarbeit. Ich war beeindruckt von ihren sorgfältig ausgearbeiteten Aufführungen, ihrer einfühlsamen Herangehensweise und vor allem von den frischen, mutigen Programmen und der Art der Musikvermittlung.
Die Persönlichkeiten des Trios ergänzen sich, sind aber gleichzeitig in der Lage, etwas Individuelles hinzuzufügen, so dass am Ende mehr entsteht als die bloße Summe der einzelnen Ausdrücke. Genau hier lag eine wichtige Inspirationsquelle für mein Stück: nämlich nicht nur die speziellen Fähigkeiten der Musiker zu benutzen, sondern sie umgekehrt auch mit Neuem zu konfrontieren, was ihre eigenen technischen und künstlerischen Dimensionen erweitern, zumindest verändern könnte. Ich stellte mir dramaturgische Momente vor, in denen die einzelnen Persönlichkeiten etwas Fremdem gegenüberstehen, was Forderungen an die unterschiedlichen Individualitäten stellt. Ich suchte dialogische Strukturen, in denen die Instrumente nicht nur interagieren und sich entwicklen, sondern letztlich ihre Persönlichkeit verändern (z.B. durch den Austausch von Gesten).

Ihr Klaviertrio besteht aus einem Satz. Können Sie die formalen Ideen beschreiben?
Es gibt mehr oder weniger zwei große Teile. Diese sind sehr unterschiedlich in den emotionalen Gesten, der Dichte und des Ausdrucks. Wichtiger als dieser Kontrast war mir aber, unterschiedliche Arten der Formbildung zu zeigen, verbunden mit einer anderen Art der Wahrnehmung.
Der erste Teil konzentriert sich auf die Details, Elemente, Objekte und Motive mit dem Ziel der Verbindung und Trennung, der Entwicklung und Transformation auf unterschiedlichen Ebenen. Man muss Elemente und Teile vergleichen, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden suchen, Dinge von einigen Elementen abstrahieren, um sie auf andere übertragen zu können, Hintergundinformationen in den Vordergrund rücken und umgekehrt. Man ist also gezwungen, als Hörer sehr aktiv zu sein. Eine gewisse Anstrengung ist notwendig, um die Verhältnisse all dieser Elemente untereinander zu entdecken und zu verstehen.
Im zweiten Teil geschieht genau das Gegenteil: hier wird das Verlieren von Details oder sogar das „sich selbst Verlieren“ in den Details gezeigt, was durch einen sehr klaren harmonischen Prozess ermöglicht wird. Diese Intervallsequenz ist so stark im Vordergrund, dass die einzelnen Elemente nicht mehr die Kraft haben, etwas zu entwicklen oder zu verändern. Selbst, wenn es sich um die gleichen Elemente wie zu Beginn handelt, sind sie all ihrer Möglichkeiten beraubt (eben durch die Integration in eine leicht verständliche, harmonische Sequenz). Man kann dies mit einer Situation außerhalb der Musik vergleichen: dieselben Leute sind plötzlich nicht mehr dieselben, wenn sich plötzlich der Kontext ändert. Hier knüpfe ich an die Fragen von Persönlichkeit und Identität an, wie ich sie schon weiter oben erwähnt habe.

Können Sie generelle Aspekte ihrer musikalischen Sprache benennen?
Jede ästhetische Positionierung birgt das Risiko, die Offenheit für neue künstlerische Experimente und Herausforderungen zu verlieren. Insofern kann eine Stellungnahme nur eine Momentaufnahme sein, welche später ergänzt oder gar außer Kraft gesetzt wird, und zwar mit jedem Stück aufs Neue. Natürlich gibt es aber einige generelle, übergreifende Fragen, welche über längere Zeit hinweg aktuell sind, unabhängig von den individuellen Fragen zu jedem einzelnen Stück.
Ein wichtiger Aspekt in meiner musikalischen Sprache ist die Idee, den Kompositionsprozess für den Hörer erfahrbar zu machen. Wenn ich selbst Musik höre, möchte ich nicht nur die Musiker hören und sehen, sondern immer auch den jeweiligen Komponisten beobachten, erfahren, wie er handelt, sich entwickelt, erfolgreich Entscheidungen trifft oder scheitert. Um das zu ermöglichen, muss ich eine geeignete Methode finden, welche zwischen dieser Vorstellung und der Intention des einzelnen Stückes vermittelt (was sich im Arbeitsprozess natürlich immer unvorhergesehen ändern kann). Die Möglichkeit einer solchen Vorstellung ist immer auch abhängig von der Fantasie der Zuhörer. Erst so entwickelt sich eine vielfältige Kommunikation über ein abstraktes Medium, wie Musik.
Diese Idee der Kommunikation mit dem Komponisten ist sowohl ein poetisches Bild als auch gleichzeitig eine technische, strukturelle Idee.

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